Stellungnahme: 22-10


zur Öffentlichen Anhörung des FSFJ-Ausschusses im Bundestag am 20.06.2022 zum Thema „Alleinerziehende in der aktuellen hohen Inflation nicht allein lassen“

Stellungnahme vom

Der Antrag der Bundestagsfraktion CDU/CSU vom 5.4.2022 (BT-Drs. 20/1334) zielt auf kurzfristig einzuführende Maßnahmen im Steuer- und Sozialrecht, um Alleinerziehende in der aktuell hohen Inflation nicht allein zu lassen. 

Konkret soll der Bundestag dazu folgende Maßnahmen beschließen:

1. den steuerlichen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende auf 5.000 Euro anzuheben, sowie die Umwandlung in einen Abzug von der Steuerschuld zu prüfen,

2. das Kindergeld nur noch hälftig auf den Unterhaltsvorschuss anzurechnen;

3. kurzfristig einen Kinderbonus in Höhe von 150 Euro einzuführen (bzw. den im Juni beschlossenen Kinderbonus um 50 Euro für Alleinerziehende zu erhöhen)

4. den Freibetrag nach § 17 Nummer 3 des Wohngeldgesetzes für Alleinerziehende um 20 Prozent anzuheben

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) begrüßt das Vorhaben der CDU/CSU Fraktion Alleinerziehende stärker zu entlasten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen nicht nur aktuelle inflationsbedingte Belastungen von Alleinerziehenden. Vielmehr könnten die vorgeschlagenen Maßnahmen – wie sie u.a. vom djb seit vielen Jahren gefordert werden – seit langem bestehende Schieflagen im Steuer- und Sozialrecht verringern und damit die finanziellen Rahmenbedingungen von Alleinerziehenden verbessern. Alleinerziehende gehören zu den am häufigsten von Armut betroffenen Familienformen, u.a. aufgrund eines geminderten Erwerbspotentials und höheren Bedarfen im Vergleich zu kinderlosen Paaren und zusammenlebenden Eltern mit Kindern.[1]  Zudem sind Haushalte mit Kindern und Alleinerziehende besonders von den Auswirkungen der Inflation betroffen.[2] 

Die vorgeschlagenen Maßnahmen gehen hier in die richtige Richtung, sind jedoch zum Teil nicht zielführend bzw. nicht weitgehend genug. Zudem muss darauf geachtet werden, dass unerwünschte Neben- oder Wechselwirkungen zu bewährten Sozialleistungen wie Wohngeld, zum Bildungs- und Teilhabepaket oder zum Kinderzuschlag unbedingt vermieden werden.

1. Entlastungen im Steuerrecht – sozial gestalten mit ergänzender Steuergutschrift

Die Erhöhung des Entlastungsbetrags (§ 24b EStG) von derzeit 4.008 Euro auf 5.000 Euro ist zwar geeignet, die im Vergleich zu Ehen und Lebenspartnerschaften, für die das Ehegattensplitting greift, sehr viel geringer ausfallende steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden anzuheben. Die Maßnahme ist angesichts der Einkommensrealitäten von Alleinerziehenden jedoch wenig zielführend bzw. nicht ausreichend.

  • Im Vergleich zur Entlastung von Ehen und Lebenspartnerschaften durch das Ehegattensplitting fällt die maximal mögliche finanzielle Entlastung auch bei einer Anhebung auf 5.000 Euro erheblich niedriger aus, obwohl Alleinerziehende mangels Partner*in besondere Aufwendungen zu tragen haben. Der maximal mögliche Splittingvorteil geht mit derzeit mehr als 18.000 Euro weit über die 2.250 Euro hinaus, die der Entlastungsbetrag bei sehr hohen Einkommen jährlich ersparen könnte. Der richtige Weg wäre hier die Abschaffung des Ehegattensplittings und die Einführung einer bedarfsorientierten Familienförderung, unabhängig vom Familienstand.
  • Da der Entlastungsbetrag vom Gesamtbetrag der Einkünfte und damit der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abgezogen wird, hängt die steuerliche Entlastung von der Höhe des Einkommens ab. Je höher das Einkommen, desto höher die finanzielle Entlastung. Erwerbstätige Alleinerziehende, die wenig verdienen oder geringfügig beschäftigt sind – ohne Leistungen nach dem SGB II in Anspruch zu nehmen – werden demzufolge weder durch den steuerlichen Entlastungsbetrag noch den Mehrbedarf im SGB II unterstützt.
  • Die Umwandlung in einen Abzug von der Steuerschuld wäre im Vergleich zum derzeitigen Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte sozial gerechter, weil dies zu einem einheitlichen Absetzbetrag führen würde. Dennoch würde sich die Entlastung auf erwerbstätige Alleinerziehende beschränken, die so hohe Steuern zahlen, dass der Abzug von der Steuerschuld auch tatsächlich greift. Alleinerziehende, die kaum oder keine Steuern zahlen, würden - ebenso wie jetzt -  nur in geringem Umfang oder gar nicht entlastet. Gerade untere Einkommensgruppen sind aber besonders durch die Inflation belastet.
  • Die einkommensabhängige Entlastung geht mit einem Geschlechterbias einher. Alleinerziehende Väter profitieren erwerbs- und einkommensbedingt stärker als alleinerziehende Mütter. Die Erwerbstätigenquote von alleinerziehenden Vätern lag 2017 bei 80% im Vergleich zu 62% bei alleinerziehenden Müttern. Das monatliche Nettoeinkommen alleinerziehender Väter lag bei 2.461 Euro im Vergleich zu 1.837 Euro bei alleinerziehenden Müttern.[3]
  • Bei einer Erhöhung des Entlastungsbetrages muss darauf geachtet werden, dass diese nicht zu einem Entfallen des Wohngeldanspruchs und daraus folgend dem Wegfall von Leistungen für Bildung und Teilhabe, dem Kinderzuschlag und der Befreiung von Kitagebühren führt. Ansonsten stünde eine geringe steuerliche Entlastung dem Verlust wichtiger existenzsichernder sozialer Leistungen gegenüber.[4]

Die Gesetzgebung hat – unter Berücksichtigung der Grundrechte – bei der Entlastung bzw. Förderung von Alleinerziehenden einen weiten Gestaltungsspielraum. Das BVerfG hat mit Blick auf Art. 6 und Art. 3 Abs. 1 GG bestätigt, dass die Gesetzgebung die besondere Situation von Alleinerziehenden gegenüber (verheirateten) Paarfamilien besonders berücksichtigen darf.[5]

Offen gelassen hat das BVerfG demgegenüber, ob der 2004 eingeführte steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende einer tatsächlichen Mehrbelastung Rechnung trägt und damit der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit oder allein der sozialen Förderung dient. Im Gesetzgebungsmaterialien wird der Entlastungsbetrag mit den regelmäßig höheren Lebensführungskosten von echten Alleinerziehenden begründet, die einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern führen.[6]

Soweit die Mehrbelastungen Ausdruck einer geminderten steuerlichen Leistungsfähigkeit wären, sind diese – ebenso wie der Freibetrag für das sächliche Existenzminimum – zwingend von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abzuziehen. Damit wäre auch die progressionsabhängige Entlastung gerechtfertigt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nur tatsächliche Mehrkosten die steuerliche Leistungsfähigkeit mindern können. Die Berücksichtigung eines durch die Betreuung von Kindern geminderten Einkommenspotentials widerspricht der Systematik der Einkommensteuer. Für die Bemessung der steuerlichen Leistungsfähigkeit kommt es auf das verwirklichte Einkommen an und gerade nicht auf das Einkommenspotential.[7] Vor diesem Hintergrund ist die Begründung für die Erhöhung des Entlastungsbetrags im Gesetzentwurf zum Zweitem Corona-Steuerhilfegesetz problematisch. Die Anhebung wird hier mit den eingeschränkten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in Zeiten der Corona-Pandemie und den damit verbundenen besonderen Herausforderungen für Alleinerziehende begründet.[8]

Soweit der Entlastungsbetrag allein der sozialen Förderung dient, mit dem sich auch Entlastungen für einen erhöhten Betreuungsaufwand rechtfertigen lassen, müsste die mit dem Einkommen steigende Entlastung mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG und das Verbot mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 GG sachlich gerechtfertigt sein. Ein sachlicher Grund, mit dem sich begründen lässt, dass Alleinerziehende mit hohen Einkommen stärker entlastet werden als Alleinerziehende mit geringen Einkommen ist jedoch nicht erkennbar. Es widerspricht auch dem mit den Maßnahmen angestrebten Ziel, inflationsbedingte Belastungen auszugleichen. Die inflationsbedingten Preisanstiege treffen vor allem untere Einkommensgruppen.[9]

Der djb hat sich bereits 2016 für eine sozial gerechte Ausgestaltung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende ausgesprochen und gefordert, die ergänzende Einführung einer Steuergutschrift zu prüfen, um der oftmals schlechten Einkommenssituation von Alleinerziehenden gerecht zu werden.[10] Entsprechend sieht der Koalitionsvertrag vor, Alleinerziehende, die heute am stärksten von Armut betroffen sind, mit einer Steuergutschrift zu entlasten.[11]Dies sollte jetzt umgesetzt werden. 

Ebenso wie beim Verhältnis von Kindergeld und Kinderfreibetrag würde die einkommensabhängige steuerliche Entlastung infolge eines Freibetrags durch einen direkten Transfer – nämlich die Steuergutschrift – ergänzt. Im besten Fall sollte die Gutschrift so hoch ausfallen, dass die Freibetragswirkungen voll kompensiert werden, also etwa 150 Euro im Monat.

Mit der Einführung einer solchen Steuergutschrift würde gewährleistet, dass Alleinerziehende in allen Einkommensgruppen entlastet werden. Beim Bezug von Sozialleistungen geschieht dies über den Mehrbedarf nach § 21 SGB II. Zu beachten ist allerdings, dass die Altersgrenzen für Alleinerziehende im SGB II sehr viel strenger sind als im Steuerrecht.

Außerdem fordert der djb seit langem, dass Kinderbetreuungskosten steuerlich in voller Höhe als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgesetzt werden können. Damit würde auch die Berufstätigkeit von Alleinerziehenden unterstützt werden.

2. Unterhaltsvorschussrecht: Kindergeld nur hälftig auf den Unterhaltsvorschuss anrechnen – langjährige Forderung des djb

Der djb spricht sich schon lange aus rechtssystematischen Gründen für eine Rückkehr zu einer nur hälftigen statt vollen Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhaltsvorschuss aus.[12]  Die Unterhaltsvorschussleistung soll ausfallenden Kindesunterhalt ersetzen und das Durchsetzungsrisiko auf den Staat verlagern. Würde der andere Elternteil Kindesunterhalt zahlen, dürfte er ebenfalls nur die Hälfte des Kindergeldes in Abzug bringen. Gleiches sollte (wie vor 2008) auch wieder für den Unterhaltsvorschuss gelten.

3. Soziale Entlastung: kurzfristiger und unbürokratischer Kinderbonus von 150 Euro

Mit dem Entlastungspaket 2022 wurde bereits die Auszahlung eines Kinderbonus von 100 Euro beschlossen. Ebenso wie bei den Zahlungen in den Corona-Jahren 2020 und 2021, wird der Kinderbonus auf den Kinderfreibetrag, aber nicht auf Sozialhilfeleistungen oder den Unterhaltsvorschuss angerechnet. Der Kinderbonus kommt damit insbesondere unteren und mittleren Einkommensgruppen zugute.

Die Erhöhung des Betrags um weitere 50 Euro für Alleinerziehende lässt sich gleichheits-rechtlich mit den besonderen inflationsbedingten Belastungen von Alleinerziehenden begründen, die in Relation zum Haushaltseinkommen etwas höher sind, als die von Paarfamilien.[13]  Zudem steht die Hälfte des Betrages dem anderen Elternteil zu, soweit dieser den Mindestunterhalt zahlt. Dies entspricht zwar der Logik des Kindergelds, allerdings sollte die Entlastung für kindbedingte akute Mehrbedarfe in dem Haushalt ankommen, in dem sie gebraucht wird.

4. Wohngeld: Erhöhung des Freibetrags nach § 17 Nummer 3 des Wohngeldgesetzes für Alleinerziehende um 20 Prozent

Die Anhebung des Freibetrages nach § 17 Nummer 3 WoGG ist ebenfalls positiv zu bewerten, zumal die Belastung durch Wohnkosten bei Alleinerziehenden häufig besonders hoch ist.[14] Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Anhebung des Freibetrags im WoGG die Auswirkungen eines erhöhten steuerlichen Entlastungsbetrags auf das Wohngeld auffangen kann. Bei der Berechnung des Anspruchs auf Wohngeld werden nach § 16 WoGG pauschal 10 Prozent abgezogen, wenn Einkommens- oder Lohnsteuern gezahlt werden. Für Alleinerziehende, bei denen die Anhebung des Entlastungsbetrags dazu führt, dass sie keine Steuern mehr zahlen, kann die Steuerersparnis daher u.a. zu finanziellen Verlusten beim Wohngeld und den Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets führen.        

 

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin                       

 

Dr. Ulrike Spangenberg
Mitglied der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich   

 

Dr. Cara Röhner
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 


[1] Vgl. Lenze, Anne (2021): Alleinerziehende weiter unter Druck, S. 57;  https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/alleinerziehende-weiter-unter-druck

[2] Prognos (2022) Kurzexpertise. Auswirkungen der Inflation für Familien, www.prognos.com/sites/default/files/2022-06/20220609_Inflation%20Familien_Prognos_0.pdf

[3] VAMV NRW (2019), Alleinerziehend – Situation und Bedarfe. Aktuelle Studienergebnisse zu Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik Deutschland, S. 21, vamv-live-1a5003a80f6644c3855ee16bd7019-03bb958.divio-media.com/filer_public/37/35/3735f340-4142-4ea1-af6e-32d88ab445bb/vamv_alleinerziehende-situationen_und_bedarfe_einzelseiten_web.pdf

[4] Vgl. Lenze, Anne (2021), S. 50.

[5] BVerfG, Beschluss v. 22.5.2009 – BvR 310/07.

[6] BT-Drs. 15/1751, S. 6; BT-Drs. 15/3339, S. 11.

[7] Vgl. Kritik am Freibetrag für die Betreuung, Erziehung oder Ausbildung eines Kindes in § 32 Abs. 6 EStG.

[8]  BT-Drs. 19/20058, S. 6.

[9] Prognos (2022), S. 6.

[10] Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung "Verbesserung der Situation Alleinerziehender" im BT-Ausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 14. März 2016,https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st16-04.

[11] Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 100.

[12] Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung "Verbesserung der Situation Alleinerziehender" im BT-Ausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 14. März 2016, https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st16-04.

[13] Prognos (2022), S. 5.

[14] Vgl. Lenze, Anne (2022), S. 36.